Yellow Fields

Objects and Prints - Bettina Bürkle
 

Eröffnung am Donnerstag, 28. April 2022, 18 bis 21 Uhr

 

Ausstellung vom 29. April bis 17. Juni 2022

Es erscheint ein Katalog.

 

Farb-Licht-Wirkung in den Arbeiten von Bettina Bürkle

“Mens hebes ad verum per materialia surgit / Et demersa prius hac visa luce resurgit.”
(„Der schwerfällige Geist erhebt sich mit Hilfe des Materiellen zum Wahren, und – obwohl er zuvor niedergesunken war – ersteht er neu, wenn er dieses Licht erblickt hat.“)

Der berühmte Abt Suger (1081–1151), seines Zeichens Vorsteher des Klosters Saint Denis in der Nähe von Paris und in der ersten Hälfte des  12. Jahrhunderts einer der maßgeblichen „Erfinder“ gotischer Kathedralarchitekturen,  hatte einst diese Inschrift auf einem der vergoldeten Bronzeportale zum Neubau seiner Klosterkirche anbringen lassen. Gemeint war damit seinerzeit, dass der Mensch, der sich – mit den monumental aufragenden Fassaden des riesenhaften Sakralbaues konfrontiert – zunächst nur winzig klein vorkommen musste, beim Betreten des Kirchenschiffes im Inneren in einen über und über von Farblicht durchfluteten Raum eintauchte und darin ganz von geistiger Kraft erfüllt würde.

Unter „Materie“ verstand er bezeichnenderweise das mundgeblasene Antikglas der großen Maßwerkfenster, das – wie kostbarste Edelsteine und Geschmeide funkelnd  -  das an und für sich ja eigentlich immaterielle Licht fassen sollte, um die Pracht aller anderen Vorgängerbauten vom legendären salomonischen Tempel in Jerusalem über die Hagia Sophia in Konstantinopel bis hin zu San Marco in Venedig zu übertreffen.

Nicht weniger geht es Bettina Bürkle um Farbe, Licht und Raum. Abseits aber aller theologisch verbrämten Lichtmystik sind die Materialien der Künstlerin meist industriell gefertigte Werkstoffe wie Acrylglas, Aluminiumprofile, Lacke und Holz, die sie in durch und durch profanen Architekturen zeigt. Im Unterschied zu den mittelalterlichen Lichtgestaltungen, die in mit Bleistegen fixierten Feldern fest montiert, ausschließlich im Innenraum und dazu noch nur aus der Untersicht der Kirchenbesucher erlebbar waren, leben die Arbeiten von Bettina Bürkle dagegen davon, (teil)mobile Module und häufig auch – von innen wie von außen – aus verschiedenen Perspektiven allansichtig zu sein, und sie gleichen so Modellen begehbarer Lichtarchitekturen. Als selbständige Bildwerke befinden sich die Bürkle’schen Arbeiten auf Augenhöhe mit den sie Betrachtenden oder animieren dieselben – von ihrer Schöpferin bisweilen mutwillig aus dem Mittelmaß museumsüblicher Hängehöhen verrückt – zu beständiger Bewegung vor den Objekten und steten Blickwechseln.

Seit nunmehr fast 20 Jahren arbeitet Bettina Bürkle vorwiegend mit Acrylgläsern. Entgegen aller landläufigen Erwartung entbehren die von ihr eingesetzten Werkstoffe jedoch des Eindrucks etwa einer menschenfeindlichen Maschinenkunst oder von technoider Kühle, wie sie bekanntlich vielen Arbeiten der Konkreten Kunst eigen ist. Im Gegenteil: die handwerklich-technische Präzision, das Gemachtsein dieser Objekte steht zugunsten ihrer eigentlichen Farb-Licht-Wirkung ganz im Hintergrund und stellt – vergleichbar mit dem sachkundig versierten Umgang mit Leinwand und mit Farbe, etwa im Bereich der Malerei – eine bloß selbstverständliche Voraussetzung professionellen künstlerischen Arbeitens dar.

Bereits in früheren Werkgruppen hatte sich Bettina Bürkle offenkundig auf das Fenster „als ikonographischen Ausgangspunkt ihrer Arbeiten bezogen, weil sich damit eines der Grundkonzepte des Bildes verbindet, die Vermittlung zwischen zwei Räumen: Innen und Außen, Erfahrung eines realen und eines vorgestellten Raumes.“

Nur konsequent muss daher der Einsatz des durchscheinenden, transluziden Materials (Acrylglas) anmuten. Die von der Künstlerin so genannten Schiebeobjekte ermöglichen auf diese Weise die frei variierbare Staffelung und Überlagerung von Farb- und Tiefenräumen, um – beispielsweise Lasurtechniken in der Malerei vergleichbar – veränderliche Farbqualitäten, Lichtbrechungen und Schattenwürfe für den Betrachter auch in eigener Regie erfahrbar zu machen.

2018 ist der große Farb Licht Kubus entstanden,   der freistehend nicht nur zusätzlich ein Umschreiten des gesamten Farb- und Lichtraumes ermöglicht, sondern in Ermangelung von Boden- und Deckenplatten auch zu Einblicken aus gebückter bzw. umgekehrt gestreckter Körperhaltung – von unten oder aber oben in das Würfelinnere – herauszufordern vermag und immer wieder neue Irritationen der Wahrnehmung hervorruft.

Ein geheimnisvoll inwendiges Strahlen geht dabei in jedem Fall von den prismatischen Kanten der einzelnen Scheiben aus, als würden diese von einer irgendwie unsichtbaren elektrischen Quelle gespeist. Nähert man sich den in Ansicht,  Aufsicht oder Durchsicht gezeigten Raumgefügen, bleibt aber je nach Blickwinkel und  Betrachterstandort ungewiss, ob wir es da mit offen durchlässigen oder vielmehr doch geschlossenen Körpern zu haben, an deren glasklar unsichtbaren Oberflächen wir fast unvermeidlich schier angestoßen wären, und in deren Spiegelungen wir allerhand Lichtreflexe der Umgebungswirklichkeit (abhängig vom jeweiligen Tageslicht oder Kunstlicht) und unversehens auch einmal unser eigenes Spiegelbild wiederentdecken könnten. Die so durchscheinenden Gläser und ihre vermeintlich leichte Beweglichkeit auf den Aluminiumschienen sorgen allerdings auch für eine Transparenz im weiter gedachten Sinne, als sie die kontinuierliche Veränderlichkeit von Wissen und von Wahrnehmung im Allgemeinen – sozusagen als offene Systeme, und damit auch mit poetischer Weite versehen – behaupten.

Obwohl also die Arbeiten von Bettina Bürkle aus industriell-technischen Werkstoffen hergestellt sind (technisch exakt auch die Schnittkanten, Winkel und all ihre Verbindungsmechanismen), erzeugen sie damit dennoch gleichzeitig eine Entmaterialisierung statisch fest umbaut geglaubter Räume. In Anbetracht der vielseitigen Schiebe- und Stellmechanismen aus Aluminium und Holz mögen sich durchaus sogar Analogien zu spätmittelalterlichen Flügelaltären einstellen, die je nach Jahreslauf und liturgischen Erfordernissen unterschiedliche Bildfolgen und Konstellationen in ihren Andachtsräumen zu offenbaren wussten. Mag die Verwendung farbigen Glases hierbei einen naheliegenden Bogen zur Baukunst gotischer Kathedralen spannen, die sich durch das immaterielle Leuchten weitgespannter Fensterflächen im Inneren der irdischen Schwere menschlicher Existenz ganz zu entledigen vermochten, können die neuzeitlich profanisierten  Retabeln Bettina Bürkles als modulare Farbräume verstanden werden, die von geistigen Kräften völlig anderer Art energetisch aufgeladen sind.

- Clemens Ottnad

 

Werkliste zur Ausstellung der Schiebeobjekte & den Yellow Fields

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